[Rezension] "Ein wilder Schwan" von Michael Cunningham


[Werbung/Rezensionsexemplar]

Du bist auf der Suche nach einer Märchensammlung der ganz besonderen Art?

Dann wird dieses Buch in jedem Fall das Richtige für dich sein. 

Michael Cunninghams "Ein wilder Schwan" ist eine Geschichtensammlung, die für Kinder eher ungeeignet ist. 

Teilweise echt skurril werden in diesem Band alte Märchen neu erzählt - modern und ungefiltert, aber immer liebevoll und mit dem Hang zur unverblümten Wahrheit.


Mit insgesamt sieben Kapiteln und 155 Seiten ist dieser Titel ein eher kurzes Lesevergnügen. Viel mehr Spaß hat man allerdings, wenn man es nicht an einem Stück liest, sondern sich immer mal wieder eine Geschichte vornimmt. So kann der Inhalt auch viel besser wirken und wird nicht gleich  von der Skurrilität der nächsten Geschichte verdrängt. 

Da jedes Kapitel eine eigene kleine Kurzgeschichte ist, die unabhängig von allen anderen gelesen werden kann, eignet sich dieses Buch daher besonders gut, um sehr bewusst, genussvoll und schrittweise gelesen zu werden.

Denn die Märchen haben es echt in sich. 

Rumpelstilzchen, Hänsel und Gretel oder auch Rapunzel wirst du nach dem Lesen des Buches in einem ganz anderen Licht sehen. 

Cunningham dreht gerne das Gute und das Böse der Geschichten um und erzählt außerdem, was bei den Originalen von damals "vergessen" oder "verheimlicht" wurde.

Ein Blick hinter die Kulissen: Rumpelstilzchen hatte wirklich nachvollziehbare Gründe, das Erstgeborene der Königstochter entführen zu wollen! Aber wer fragt schon den Bösen...

Damit hebt der Autor die Geschichten auf eine Ebene der Authentizität, die anfangs sehr absurd wirken kann, bis man die Genialität und Originalität dahinter erkannt hat. 

Der fiktionale Charakter der Märchen bleibt natürlich erhalten. Das Novum ist viel mehr das Einbeziehen von ganz alltäglichen Geschehnissen, die, wie oben angedeutet, in den Originalen natürlich nicht berücksichtigt sind. Die Gefühle der ("bösen") Figuren zum Beispiel oder die Routine einer eingerosteten Ehe. 



So wird auch vor der Vorstellung nicht halt gemacht, wie die Schöne und das Biest Geschlechtsverkehr haben, solange das Biest noch nicht verwandelt ist. Und hat sich jemals irgendjemand darüber Gedanken gemacht, wie Rapunzel dem Spliss all die Jahre entkommen konnte? 

Die Märchen machen dadurch viel Spaß, bringen zum Lachen und vor allem auch zum Staunen, ob der großartigen Raffinesse und Ehrlichkeit.  

Die Sprache ist einfach gehalten und dennoch an den märchenhaften Stil der Originale angepasst. Kurze Sätze und eine schnelle Erzähldynamik (hier müssen schließlich viele Jahre in kurze Geschichten untergebracht werden) lassen die Seiten nur so dahin fliegen. 

Natürlich ist diese Sammlung nichts für all diejenigen, die großen Wert auf die klassischen Merkmale eines Märchens legen. Hier beginnt nicht jede Geschichte mit der typischen Phrase "Es war einmal". Und auch das ersehnte Happy End lässt Michael Cunningham oft aus - lieber bleibt der Autor auch hier realistisch. Hier wird nichts beschönigt, wie im wirklichen Leben auch. 

Mir persönlich hat des Öfteren die dahinterstehende "Moral der Geschichte" gefehlt. So originell die Geschichten auch sind, wäre es an ein paar Stellen noch eindrucksvoller gewesen, wenn auch die modernen Varianten einen tieferen Sinn gehabt hätten, der zum Nachdenken anregt. Das war zwischen den Zeilen sehr oft der Fall, doch fehlte für mich ab und an der entscheidende Knackpunkt, der die Geschichten noch perfektioniert hätte: Ein Sinn, der über das normale Nachdenken von Kurzgeschichten hinaus geht. 

Besonders hervorzuheben ist noch das liebevoll gestaltete Cover. Dieses erinnert sehr stark an ein klassisches Märchenbuch - mitsamt der verschnörkelten Letter und der rasterartigen Anordnung selbiger. 

Illustriert ist dieses Buch durch Bilder von der japanischen Künstlerin Yuko Shimizu

Teilweise verträumt und teilweise skurril wird jede Geschichte untermalt. Alle Zeichnungen sind dabei schon kleine Kunstwerke für sich - und in Zusammenarbeit mit den Geschichten noch umso eindrucksvoller. 


Wer also auf der Suche nach einer Lektüre der ganz besonderen Art ist, wird von "Ein wilder Schwan" bestens unterhalten werden. 

Diese Märchensammlung bekommt von mir 9 von 10 Kröchen. 
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Allgemeine Infos

Titel: "Ein wilder Schwan"
Originaltitel: "A Wild Swan and Other Tales"
Originalverlag: Farrar, Straus & Giroux

Ausgabeart:Gebundenes Buch mit Schutzumschlag oder E-Book
Seitenanzahl: 160 Seiten
Erschienen: Deutsche Erstausgabe 13.11.2017
ISBN: 978-3-630-87491-3
Preis: 19,00 €

Klappentext

Michael Cunningham erzählt die alten Märchen neu – er betrachtet sie aus einem anderen Blickwinkel, hinterfragt sie mit Witz und Verve und zeigt dabei, wie zeitlos sie sind. 

Noch nie waren Märchen so lustig und raffiniert, so düster und sexy – und so wahr. Rumpelstilzchen, Hänsel und Gretel, Schneewittchen und Rapunzel – wer erinnert sich nicht an die Gutenachtgeschichten aus der Kindheit, an Märchen, die uns verzauberten und schaudern machten. Einer der begnadetsten amerikanischen Schriftsteller holt nun diese und andere Märchen in unsere Gegenwart und erzählt, was sie verschwiegen oder vergessen haben oder wie es nach dem angeblichen Ende »wirklich« weitergeht. Und welch tiefe Abgründe sich an jeder Ecke auftun können. Die altüberlieferten Mythen über Könige und Prinzessinnen, Flüche, Zauber, Habgier und Verlangen erweisen sich in Michael Cunninghams spielerischen, so ironischen wie klugen Erzählungen als verblüffend modern und menschlich.

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Dieses Buch ist ein Rezensionsexemplar.
Vielen Dank an den Verlag!



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